über das Leben unseres Namensgebers

Altarraum Paul-Gerhardt Augsburg

Wer war Paul Gerhardt?

BildDer Weg zu Paul Gerhardt führt zunächst in die ehemals kursächsiche Stadt Gräfenheinichen zwischen Wittenberg und Halle gelegen. Um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts war Hainichen, wie sie in der Region genannt wird, ein regionales Zentrum. Das Stadtbild war vom Turm der Marienkirche geprägt und ein stattliches Schloß war der Sitz derer ‚von Müchelse‘. Der Kurfürst ließ seine Interessen in der Stadt durch durch einen sogenannten Amtsschösser vertreten. Drei Bürgermeister verwalteten die Stadt. Einer dieser Bürgermeister war Christian Gerhardt, Sohn eines Gastwirts. Seine Frau hieß Dorothea, deren Großvater Superintendent in Eifenburg war. In diese Familie wurde Paul Gerhardt am 12. März 1607 geboren und erhielt seinen Vornahmen nach seinem Großvater.

Das beginnende 17. Jahrhundert war geprägt von gesellschaftlichem Zerfall auf Grund der religöser Eifereien und Streitereien. Diese betrafen nicht die großen christlichen Konfessionen alleine, sondern auch die Gruppierungen innerhalb der neuen protestantischen Konfession. Schwere Auseinandersetzungen existierten zwischen Calvanismus und Vertretern des orthodoxen Luthertums. Die Kurpfalz , das Rheinland, Nassau und Hessen, Mecklenburg-Güstrow und Schleswig-Gottrop hatten sich der calvinistischen Lehre zugewandt. Bereits sechzig Jahre nach dem Tode Martin Luthers (18. Februar 1546) galt die lutherische Konfession als konservativ und heimisch in den protestantischen Gebieten. Der Calvinismus war in seiner religiösen Ausprägung drängender, hatte französische Wurzeln angehaucht und galt als fortschrittlich und zukunftsweisend.

Pfarrer und Dichter
BildPaul Gerhardt verlor seine Eltern schon sehr früh. 1619 starb Christian Gerhardt, und zwei Jahre darauf auch die Mutter Dorothea. Paul war 14 Jahre alt und stand mit drei weiteren Geschwistern am Grab der Mutter – zwei jüngere Schwestern und ein Bruder, Christian. Die Mädchen kamen zu Verwandten und die beiden Buben wurden auf auf die Fürstenschule in Grimma geschickt, die sich im Gebäude des ehemaligen Augustinerklosters befand. Am 15. Dezember 1627 verließ Paul die Fürstenschule und ging als Student nach Wittenberg, wo die dortige Universität in gutem Ruf stand.
Seine Lehrer dort waren Jacob Martini, Wilhelm Leyser, Johann Hülsemann und Paul Röber. Letzterer war nicht nur ein Theologe, sondern auch ein Künstler. Paul Gerhardt hat ein Lied von Paul Röber später umgedichtet. Während seines Studiums tobten die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges über das Land und auch seine Heimatstadt Gräfenhainichen ging in Flammen auf. Der Zerstörung des Krieges folgten Pest und Hunger. Eine Zeit die nicht besser als durch den Stich Albrecht Dürers - „die apokalyptischen Reiter“ gekennzeichnet werden kann. Der Bildinhalt bezieht sich auf eine Textstelle der Offenbarung:
„Dann sah ich: Das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel; und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm! Da sah ich ein weißes Pferd; und der, der auf ihm saß, hatte einen Bogen. Ein Kranz wurde ihm gegeben und als Sieger zog er aus, um zu siegen. Als das Lamm das zweite Siegel öffnete, hörte ich das zweite Lebewesen rufen: Komm! Da erschien ein anderes Pferd; das war feuerrot. Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben. Als das Lamm das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Lebewesen rufen: Komm! Da sah ich ein schwarzes Pferd; und der, der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage. Inmitten der vier Lebewesen hörte ich etwas wie eine Stimme sagen: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu! Als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens rufen: Komm! Da sah ich ein fahles Pferd; und der, der auf ihm saß, heißt „der Tod“; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde, Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.“

Paul Gerhardts Bruder Christian scheint der Pest erlegen zu sein, da im Beerdigungsregister von Gräfenhainichen am 7. November 1637 der Tod eines Christian Gerhardt, Schöppenmeister, vermerkt ist. Die Grauen eines völlig enthemmten Kriegstreibens, das Wüten der Pest die Leiden der Hungersnöte – in einem solchen Umfeld studierte und lebte Paul Gerhardt und wandelte seine Wahrnehmung in Lyrik:

Ihr vormals schönen Felder
mit frischer Saat bestreut,
jetzt aber lauter Wälder
und dürre wüste Heid,
ihr Gräber voller Leichen
und blutgem heldenschweiß
der Helden, deren gleichen
auf Erden man nicht weiß.


Bild Die bis heute packenden, ergreifenden Texte Paul Gerhardts sind nicht alleine als christliches Liedgut zu verstehen. Paul Gerhardts Schaffen machte ihn auch zu den bedeutendsten Lyrikern der deutschen Sprache. Seine Texte dürfen in keiner anspruchsvollen Anthologie deutscher Lyrik fehlen.
Es konnten bislang keine Quellen erschlossen werden, die Auskunft darüber gäben welche Beweggründe Paul Gerhardt hatte, sich der Dichtung zuzuwenden. Vermutungen weisen auf Anstoß und Förderung seines Wittenberger Professors Paul Röber hin. Der hatte ein Lied gedichtet: "O Tod, o Tod, schreckliches Bild". Die Sprache Röbers nimmt die in jener Zeit gehegte Vorstellungen vom Tode auf. Paul Gerhardt hat dieses Röbersche Gedicht überarbeitet. Viele Gedichte schildern den Jammer der Kriegsnot. Die Nachdichtung des 85. Psalm (Herr, der du vormals hast dein Land) enthält die Verse:

Ach, daß ich hören sollt´das Wort
erschallen bald auf Erden,
daß Friede sollt´an allem Ort,
wo Christen wohnen, werden!
Ach, daß uns doch Gott sagte zu
des Krieges Schluß, der Waffen Ruh
und alles Unglücks Ende!
Ach, daß doch diese böse Zeit
bald wiche guten Tagen,
damit wir in dem großen Leid
nicht mögen ganz verzagen!



Es ist nichts überliefert, welcher Tätigkeit Paul Gerhardt in Berlin nachging. Er bekommt eine Pfarrstelle in Mittenwalde angeboten – eine Stadt nur wenige Kilometer von Berlin entfernt. Die wandten sie sich an das Geistliche Ministerium nach Berlin, auf der Suche nach einem geeigneten Geistlichen. Von dort erhielten die Mittenwaldener bald eine Antwort:

"Wir sind hierüber einmütig zu Rat gegangen, wiewohl wider sein Wissen, welches wir daher auch für den aufrichtigsten Dienst halten, den Ehrenfesten Vorachtbaren und Wohlgelahrten Herrn Paulum Gerhardt, sanctae sacrae theologiae candidatum, welcher sich bei uns allhier in des Churf. Brandenburgischen Kammergerichts-Advocati, Herrn Andreas Bertholds Hause befindet, bestermaßen unseren Herren zu solchem Amte anzutragen, in der Versicherung, daß wir in diesem wohlgemeinten Vorschlag Ihrer Christlichen Gemeinde eine solche Person vorhalten, deren Fleiß bekannt, die eines guten Geistes und ungefälschter Lehren, dabei auch eines ehr- und friedliebenden Gemütes und christlich untadelhaften Lebens ist, daher auch er bei Hohen und Niedrigen unseres Ortes lieb und wert gehalten und von uns all Zeit das Zeugnis erhalten wird, daß er auf unser freundliches Ansinnen vielen Malen mit seinen von Gott empfangenen Gaben um unsere Kirche sich beliebt und wohl verdient gemacht hat!"

Paul Gerhardt wurde zum Probst gewählt und trat ein schweres Amt und Erbe an, denn Mittenwalde hatte am Krieg fürchterlich gelitten. Von rund tausend Bauern im Umkreis der Stadt waren gerade noch zweihundertfünzig am Leben geblieben. Wie sollten die verarmten Bauern, Handwerker und Tagelöhner das geringe Einkommen aufbringen, dessen der Pfarrer zum Leben bedurfte? Bargeld hatte ein Pfarrer damals wenig, und war daher auf die Pfarrpfründe angewiesen: Holz, Frucht, Wein, der "Blutzehnte" -- das zehnte Junge aus dem Stall -- daraus bestanden die Einkünfte des Pfarrers, dazu die Pfarräcker und Pfarrwiesen, die er meist selbst bewirtschaftete.

Der Propst von Mittenwalde begann also seine Arbeit unter wirtschaftlich und gesellschaftlich zerrütteten Verhältnissen und war zudem noch immer unverheiratet, obwohl er schon auf die Fünfzig zuging. Im Haus des Kammergerichtsadvokaten Berthold lernte er dessen jüngste Tochter Anna Maria kennen. Am 11. Februar 1655 wurde er in dem Bertholdschen Hause durch Propst Vehr getraut. Er war 48 Jahre alt, Anna Maria war sechzehn Jahre jünger.
Paul Gerhardt schrieb:

Die Bäumlein, die man fort gesetzt
in wohlbestellten Garten,
die pfleget man zuerst und letzt
vor allen wohl zu warten.
Ihr Bäumlein Gottes, freuet euch,
der Gärtner ist von Liebe reich,
der sich euch heut erwählet.
Was er gepflanzt mit seiner Hand,
hält er in großen Ehren.
Sein Sinn und Aug´ist stets gewandt,
dasselbe zu vermehren,
kommt oft und sieht aus reiner Treu,
was seines Gartens Zustand sei,
was seine Reislein machen.
Und wenn denn unterweilen will
ein rauhes Lüftlein wehen,
ist er bald da, setzt Maß und Ziel,
läßt´s eilends übergehen.
Wenn er betrübt, ist gut gemeint,
er stellt sich hart und ist doch Freund
voll süßer Huld und Gnade.
O selig, der, wenn´s Gott gefällt,
ein Wölklein einzuführen,
ein treues, fröhlich Herz behält,
läßt keinen Unmut spüren.
Ein Wölklein geht ja bald vorbei;
es währt ein Stündlein oder zwei,
so kommt die Sonne wieder.
So gehet nun mit Freuden ein
zu eurem Stand und Orden:
der Weg wird ohne Schaden sein,
der euch gezeiget worden.
Es geht ein Englein vornen an,
und wo es geht, bestreut´s die Bahn
mit Rosen und Violen.


Die Not wich auch nach der Verheiratung nicht. Es gibt eine Geschichte über die Entstehung des Liedes Befiehl du deine Wege, die berichtete, wie Paul Gerhardts Frau ihn bat ihm Geld zu geben: "Gib mir nur einen Groschen, daß ich das Allernötigste kaufen kann. Sonst kann ich dir heute nicht einmal den Tisch zu Mittag decken!" Er hatte das verlangte Geld jedoch nicht, und soll seiner Frau gesagt haben: "Ich will dir eine Speise besorgen, die nicht vergeht." Der Überlieferung nach dichtete er im Gartenhausdas Lied ‚Befiehl du deine Wege‘.

Am Geburtstag seiner Frau, dem 19. Mai 1656, wurde das erste Kind geboren und ein halbes Jahr später, am 28. Januar 1657, ist es in der Kirche zu Mittenwalde begraben worden. Sechs Jahre wirkte Paul Gerhardt in Mittenwalde. Dann folgte er dem Ruf an die Nikolaikirche nach Berlin. Während seiner Amtszeit dort kam es zum Streit zwischen dem Kurfürsten und dem Geistlichen Ministerium. Das lutherische und das reformierte Bekenntnis wurden damals allgemein als zwei verschiedene Religionen gewertet. Kurfürst Johann Sigismund hatte 1613 den reformierten Glauben angenommen. Paul Gerhardt stand zu seinem lutherischen Bekenntnis. Die Reformierten wurden von dem Hofprediger Stosch geführt. Die Lutheraner standen unter Gerhardts Amtsgenossen Reinhart.

Bild Paul Gerhardt nahm schnell Positionen in dem Streit auf und argumentierte hart: "Daß unter den Reformierten Christen seien, gebe ich gern zu. Aber daß die Reformierten, als reformierte Christen, meine Mitchristen, meine Mitbrüder sind, das leugne ich."
Ein wenig versöhnlicher Gesprächsversuch. Wie das „Miteinander“ gestaltet wurde, lässt sich auch einer Verordnung des Kurfürsten Johann Sigismunds vom Jahre 1614 neu heraus, daß die beiden Kirchen gegenseitig keine Schimpfnamen auf der Kanzeln gebrauchen dürfen. Man darf von den Reformierten in Zukunft nicht mehr reden als von Zwinglianern, Calvinisten, Sakramentierern, Sakramentschändern. Ebenso dürfen die Lutherischen nicht mehr Ubiquitisten, Flazianer, Marzioniten, Pelagianer, Eutychianer gennant werden.
Dieses Edikt wurde sämtlichen Geistlichen zugestellt, und sie erhielten den Befehl, einen Revers zu unterschreiben. Aus Kleve hatte der Kurfürst im Winter 1666 geschrieben, man solle Gerhardt vorladen, seine Unterschrift unter den Revers verlangen, und, wenn er sich weigere, ihn seines Amtes entsetzen. Am 6. Februar 1666 erklärte Paul Gerhardt vor dem Konsistorium, daß er sich um seines Gewissen willen dem Edikt nicht unterwerfen könne. Daraufhin wurde die Amtsentsetzung ausgesprochen, am 14. Februar hielt er die letzte Trauung. Es wird erzählt, daß er damals gesagt habe: "Es ist nur ein geringes Berlinisches Leiden. Ich bin auch willig und bereit, mit meinem Blute die evangelische Wahrheit zu besiegeln und als ein Paulus mit Paulus den Hals dem Schwerte darzubieten!"

In Berlin entstand eine gewaltige Aufregung. Die Verordneten der Bürgerschaft, die Vertreter der, der Tuchmacher, der Schumacher, der Bäcker, Schlächter, Kürschner, Schneider, Zinngießer setzten eine Eingabe an den Magistrat auf, der das Patronat der Kirche von St. Nicolai inne hatte, und verlangten, der Magistrat müsse beim Kurfürsten vorstellig werden, daß er ihnen ihren "geliebten Prediger und Seelsorger" nicht entziehe. Denn es sei "mehr als bekannt, daß dieser Mann „nimmermehr wider Sr. Churfürstlichen Durchlaucht Glauben geredet und keine Seele mit Worten oder Werken angegriffen habe". Sie verlangten, daß "dieser fromme, ehrliche und in vielen Landen berühmte Mann ihnen gelassen werde". Der Rat legte diese Schrift mit einem Begleitschreiben vor, in dem gleichfalls betont wurde, daß Gerhardt niemals ein Wort gegen den Glauben des Kurfürsten und seiner Glaubensgenossen gesagt habe. Der Kurfürst lehnte ab. Gerhardt sei einer der hartnäckigsten Gegner der Reformierten. Noch einmal "sollizierten" die Berliner beim Kurfürsten. Auch die Tischler, Messerschmiede, Huf- und Waffenschmiede, die Kupferschmiede schlossen sich an, woraufhin der Kurfürst sich umstimmen ließ. Er schrieb den Ständen, daß er die Reversangelegenheit nach seiner Rückkunft behandeln wolle. Von Gerhardt ist kein Wort in seinem Briefe. Offenbar wollte sich der Kurfürst Zeit zur Besinnung lassen. Gerhardt wurde in seinem Pfarrhaus belassen. Wo sich die Gräfin Maria Magdalena zur Lippe hatte sich wiederholt nach ihm erkundigt. Sie hatte ihm eine Stelle in Aussicht gestellt, damit er sich keinen Kummer über seine Zukunft zu machen brauche. Er lehnt jedoch die Berufung an eine Lippesche Stelle ab.

Am 3. Januar 1667 ließ Friedrich Hilhelm dem Magistrat von Berlin mitteilen: Er habe über Paul Gerhardts Person keine Klage vernommen außer der, daß er die Edikte zu unterschreiben sich geweigert habe. Er halte also dafür, daß Gerhardt die Meinung der Edikte nicht recht begriffen habe. So wolle er ihn völlig wieder restituieren und ihm gestatten, sein Predigtamt wie vorher zu treiben. Der Kurfürst ließ Gerhardt zukommen, er solle sich dem Verketzerns und Verdammens der Reformierten enthalten! Das hieß mit dürren Worten: Du brauchst den Revers zwar nicht zu unterschreiben -- aber du mußt dich ihm gehorsam fügen! Gerhardt geriet in eine neue Not des Gewissens. Es gibt zwei Briefe von ihm, in denen diese Gewissensnot ihren erschütternden Ausdruck findet. Der eine Brief ist an den Magistrat von Berlin gerichtet und der andere an den Kurfürsten. Der Großvater hatte gesagt: "Lieber Amt und Beruf drangeben und mit Weib und Kind ins Elend ziehen als wider das Gewissen zu handeln und den Frieden mit Gott verlieren." Der Enkel entschied genau so. Der Kurfürst hatte die Sache satt. Er war bis zum Letzten gegangen -- nun sah er in dem Mann, der sich immer noch nicht fügen konnte, einen Widerspenstigen, dem nicht zu helfen und zu raten sei. Am 4. Februar 1667 schrieb er an den Rand der Eingabe des Magiszrats: "Wenn der Prediger Paul Gerhardt das ihm von Se. Churf. Durchlaucht gnädigst wieder erlaute Amt nicht Wieder betreten will, welches er dann vor dem höchsten Gott zu verantworten haben wird -- so wird der Magistrat in Berlin ehestens einige andere friedliebende geschickte Leute zur Ablegung einer Probepredigt einladen, aber Dieselben nicht vocieren, bis sie zuvörderst Sr. Churf. Durchlaucht von dero Qualitäten untertänigsten Bericht abgestattet haben!"

Für den Kurfürsten war die Sache erledigt. Nicht aber für Paul Gerhardt!
Ihn verstand beinahe niemand. Die Bürgerschaft und der Magistrat waren verdrossen. Er versuchte sich zu rechtfertigen. Wenn er in sein Amt wieder eintrete unter den Bedingungen, die ihm der Kurfürst gemacht habe, müsse er die Konkordienformel verleugnen. Es war der Gegensatz von Staatsräson und protestantischer Gewissensfreiheit. Der Staat verlangt Unterwerfung. Der Glaube duldet keine Schranken. Der Staat befiehlt -- der Glaube, der auf befehl horcht, ist kein Glaube. So werden immer wieder im Lauf der Geschichte Staat und Glaube des einzelnen hart gegeneinander stoßen, solange Staat Staat und Glaube Glaube ist. Eine Kirche, die Männer wie Gerhardt hat, weiß, daß sie lebt und nicht umzubringen ist!

Die Krankheit seiner Ehefrau, seit der Geburt des Söhnchesn Paul Friedrich, belastete Paul Gerhardt schwer. Nach der Geburt des darauffolgenden Kindes wuchs ihr Brustleiden zu unheilbarem Siechtum aus. Zwei Ärzte mühten sich um sie. Aber sie vermochten die Schwindsucht nicht mehr zu bannen.

Paul Gerhardt dichtet:

Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir;
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.



Am 5. März 1668 ist sie gestorben. Sie wurde neben all den Ihren, Eltern und Kindern, in der Nikolaikirche hinter der Kanzel beigesetzt, auf der ihr Mann nicht mehr stehen durfte.

In Berlin saß ein einsamer Mann. Der "Fall Paul Gerhardt" geriet sehr schnell in Vergessenheit. An die Stelle des "Abgesetzten" kam ein neuer Diakonus nach St. Nikolai. Gerhardt merkte, daß seines Bleibens in Berlin nicht mehr lange sein könne. In der Stadt Lübben ist ihm die Türe aufgetan worden.

Am 14. Oktober predigte er in der Lübbener Kirche und gefiehl. Am 28. Oktober wurde er einstimmig gewählt. Paul Gerhardt starb am 27. Mai 1676 und wurde am 7. Juni, dem ersten Sonntag nach Trinitatis, in der Kirche zu Lübben bestattet.



Paul Gerhardt’s Lieder

Eins der bekanntesten Adventslieder ist »Wie soll ich dich empfangen« (EKG 10). Zu Weihnachten singen wir: »Fröhlich soll mein Herze springen« (EKG 27), »Kommt und laßt uns Christum ehren« (EKG 29), »Ich steh an deiner Krippen hier« (EKG 28) und »Wir singen dir, Immanuel« (EKG 30). Die Jahreswende ist nicht denkbar ohne das Lied »Nun laßt uns gehn und treten« (EKG 42). Zum Eingang in die Passionszeit singen wir gern: »Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld« (EKG 62). Unter das Kreuz von Golgatha führt uns Gerhardt in seinem Lied »O Welt, sieh hier dein Leben« (EKG 64). 7 seiner Passionslieder sind Nachdichtungen lateinischen Hymnen. Das bekannteste dieser sog. "Salvelieder" ist »O Haupt voll Blut und Wunden« (EKG 63). Zu Ostern jubeln wir: »Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschicht!« (EKG 86). Pfingsten feiern wir mit: »Zeuch ein zu deinen Toren« (EKG 105) Unter den Morgen- und Abendliedern des Gesangbuches sind viele von ihm. Seine Kreuz- und Trostlieder sind für jeden Christen Lichtstrahlen im Dunkel der Anfechtung sein und Quelle des Trostes und der Kraft, so zum Beispiel: »Befiehl du deine Wege« (EKG 294), »Warum sollt ich mich denn grämen?« (EKG 297), »Gib dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens« (EKG 295). Seine Sterbenssehnsucht und Heimweh nach dem himmlischen Vaterhaus kommt in seinem »Pilgerlied« ergreifend zum Ausdruck: »Ich bin ein Gast auf Erden« (EKG 326). Dies ist nur ein Teil der Lieder, die Paul Gerhardt schuf. Wir besitzen von ihm einschließlich seiner Gelegenheitsgedichte 133 Lieder. So wurde er durch seine Lieder zum Seelsorger und Tröster ungezählter Christen.